Beschleunigte Altersverarmung

 

Armut hat viele Gesichter und viele Gründe. Es gibt aber wenige grundsätzliche Zusammenhänge, die Armut in einer Gesellschaft begründen. Entscheidend ist vor allem der gesellschaftliche Reichtum und die Regeln, wie er verteilt wird.

Das Bundesamt für Statistik meldet seit einigen Jahren einen stetigen Anstieg von Altersarmut. Indikator für diesen starken Anstieg ist die Zahl der RentnerInnen, die neben Rente Grundsicherungsbeiträge (Sozialhilfe) erhalten: Siehe Grafik 1

Demnach hat sich der Zahl in den letzten 11 Jahren verdoppelt (sehr deutlich ist auch, welche fatalen Wirkungen die Ver-schlechterungen für Erwerbsgeminderte haben).

Die tatsächliche Zahl der Rentner, die an der Armutsgrenze und darunter leben, ist sehr viel höher. RentnerInnen, die Wohngeld beziehen sind nicht berücksichtigt (ca. 300.000) und diejenigen, die mit ihrer Rente zwischen der Grundsicherungsgrenze von 744,00 € und dem Armutsschwellenbetrag von 869,00 € (Zahlen für 2014) liegen, ebenfalls nicht.

Nicht erfasst werden auch Personen, die zwar Anspruch auf Grundsicherung hätten, ihn aber nicht wahrnehmen (Formalismus; Überwachungsängste; „Schamgefühle“; Unkenntnis).

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ermittelt, dass mittlerweile ca. 2,3 Millionen im Rentenalter arm sind. Diese Zahl wird absehbar noch dramatisch zunehmen. Von den vielen Millionen Menschen mit langjährig unterbrochenen Erwerbsbiografien,

aus prekären Beschäftigungen, aus der „Generation Praktikum“ und anderen niedrig bezahlten Arbeitsverhältnissen, ist erst eine relativ geringe Zahl in Rente gegangen. Das Fundament für die Verarmung wurde jedoch mit den „Reformen“ zur Senkung des

Nettorentenniveaus geschaffen. Das wird sehr deutlich, wenn man sich die langjährige Entwicklung des Bruttoinlandproduktes (BIP), der Löhne und der Renten vor Augen führt: (Das BIP kann man gut als Reichtumsindikator der Gesellschaft – Summe aller Waren u. Dienstleistungen in einem Jahr ‐betrachten):

 

Zwischen 1960 und 1990 liegt die Entwicklung der Löhne über dem Zuwachs des BIP. Die Renten steigen in etwa mit dem BIP. Das bedeutet, die Renten wuchsen mit der Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums. Das änderte sich grundlegend ab 1990.

 

Das Bild zeigt die Lohn‐ bzw. Rentenentwicklung nach Abzug der Preissteigerungen.

Aus Vereinfachungsgründen wird angenommen, dass ein Lohn im Jahr 1959 monatlich 150 € betrug und eine Rente 100 €.

Im Jahre 1991 hatte sich die Kaufkraft der Löhne auf 411€ entwickelt (also um das 2,8‐fache), die der Renten auf 240€ (das 2,4‐fache). Nach 1991 stagnierte die Kaufkraft der Löhne, mit Schwankungen, auf dem Niveau von 1991. Die Kaufkraft der Renten sank seitdem, mit Ausnahme des Jahres 2009 ununterbrochen.

Im Jahre 2013 war die Kaufkraft, und damit der Lebensstandard, auf das Niveau von 1983 gesunken!

Wenn man den Durchschnitt der Preis‐ und Lohnsteigerungen der letzten 12 Jahre auf den Zeitraum von 2014 bis 2030 projiziert, wird bei derzeitiger Gesetzeslage die Kaufkraft der Renten im Jahr 2030 auf dem Stand von 1974 zurückgefallen sein!

Das ist unerträglich:

Der Reichtum in der BRD wird gesteigert (siehe BIP‐Zunahme). Die diesen Reichtum erarbeiten, bekommen von dem Zuwachs nichts ab. Die den Reichtum früher erarbeitet haben und nun auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind, werden wie ökonomischer Ballast behandelt. Ihr Lebensstandard wird gezielt verschlechtert, Millionen in Armut gedrückt.

Diese Entwicklung ist gewollt: Agenda 2010, Hartz IV, Rentenkürzungsgesetze, Wegfall der Vermögenssteuer, Steuerfreiheit bei Firmenverkäufen, Senkung des Spitzensteuersatzes…. Das sind alles Meilensteine neoliberaler Politik.


Damit muss endlich Schluss sein. Zum Beispiel so: Politiker, die nichts gegen die wachsende Altersverarmung unternehmen wollen, werden nicht gewählt!

Klare Reformansätze, um der systematischen Altersverarmung zu begegnen:

Wichtig ist, dass die gesellschaftliche „Normrente“ (Eckrente oder Standardrente) eine Größenordnung hat, die einen gehörigen Abstand zur Armutsschwelle hat und die

gewährleistet, dass eine Teilhabe an dem zukünftigen Zuwachs gewährleistet ist (wie

das geht, siehe Thema: der aktuelle Rentenwert unter www.seniorenaufstand.de).

 

Wenn dieses Fundament steht, können auch die weiteren dringend notwendigen

 

Reformschritte zur Verhinderung von Altersarmut ihre positive Wirkung entfalten:

 

              ‐ Sozialversicherungspflicht aller Beschäftigungsverhältnisse

              ‐ Aufwertung von niedrigen sozialversicherungspflichtigen Einkommen

                auf 75% des Durchschnittseinkommens

              ‐ Anwartschaften von Arbeitslosengeld‐II Empfängern von 75% des Durchschnittseinkommens einführen

              ‐ Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten vor dem 63. Lebensjahr.

              ‐ Abschlagsfreie Rente ab 60 nach 40 Versicherungsjahren.

              ‐ Anhebung der Grundsicherung im Alter auf mindestens 860 €.

              ‐ Renteneintrittsalter von 67 auf 65 Jahre zurücksetzen.

 

Es mehren sich die Stimmen, die das Recht auf ein würdiges und auskömmliches Leben im Alter in unserem Grundgesetz verankert sehen wollen. Das ist auch höchste Zeit. Neben den Rechten der Kinder, der Familien und der Ehe wurde nach den Rechten der Tiere und der Natur erst vor 5 Jahren das zweifelhafte Ziel der staatlichen Schuldenfreiheit in ein Verfassungsrang gehoben. Die Würde und Rechte der Alten findet man im Grundgesetz nicht. Sie sind anscheinend antastbar – es ist Zeit klarzustellen, dass auch sie Verfassungsrang haben.

 

Beitrag: Reiner Heyse       www.seniorenaufstand.de

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